Brief von Herrn Wecht an die „Promoción 1985“
Am Samstag, 18. September 2010, trafen sich die ehemaligen Schüler des Jahrganges 1985 im Haus von Sandro Pettinari in Huachipa. Unser „Alumni-Postbote“ Maike Hein besuchte sie im Namen der Alumni - Arbeitsgruppe, um ihnen einen Brief von Herrn Karlheinz Wecht (damals Vertrauenslehrer) - natürlich auf Deutsch - vorzulesen. Christian Valqui, ehemaliger Schüler dieses Jahrganges, war der offizielle Übersetzer. Für diejenigen, die nicht anwesend sein konnten, hier der Brief:
Liebe Prom 85,
„...ob ich mich noch an euch erinnere?“ Claro que si!!
Es kommt selten im Leben vor, dass die Spuren von wenigen Jahren so tief in die Erinnerung eindringen. Die Humboldtschule in Lima war für mich und meine Familie einer der wichtigsten Meilensteine im Leben. Für unsere junge Familie war diese Zeit so etwas wie eine Entdeckungsreise zu uns selbst mit vielen schönen und prägenden Erlebnissen. Für euch war es die Schulzeit, das Erwachsenwerden, das Zurücklassen der Kindheit, eine Zeit also, die nicht immer mit Glücksgefühlen besetzt ist. Und trotzdem erinnern wir uns alle gerne daran - an den Morgenappell von Dr. Vignale, an die Humboldtspiele 1985, die Kirmes, an den jungen Mathematiklehrer aus Deutschland, der beim Unterrichtsbesuch von Herrn Niebling noch nicht einmal das Erdbeben bemerkt hatte.
Ihr habt mich damals gleich zu euerm Vertrauenslehrer gewählt. Das war eine große Ehre für mich. Wenn ich mir das Foto aus dem Jahrbuch der Promocion 85 ansehe, auf dem ich mit Frau Northcote und Frau Bustamante abgebildet bin, dann kann ich kaum glauben, dass ihr diesem bärtigen Ungeheuer euer Vertrauen geschenkt habt.
Aus Anlass dieser Zeilen habe ich nach vielen Jahren wieder einmal in meinem Archiv nach dem Humboldt Jahrbuch von 1985 gesucht. Ich fand es sofort. Beim Durchblättern roch es noch nach Lima und öffnete mir wieder unser gemeinsames Zeitfenster. Am Klassenbild der V-D mit ihrem Klassenlehrer Wecht blieben meine Augen hängen. Wie fröhlich und offen ihr in die Welt geschaut habt. Man sieht euch heute noch an, dass ihr gerne in die Schule gegangen seid. Gemeinerweise habe ich dann auch noch das alte rote Notenbuch gefunden. Daraus will ich aber nur soviel berichten: Marco, Rafael und Philips Mathematiknoten beeindrucken noch heute.
Die guten Erinnerungen verdecken aber vielleicht auch, dass nicht alles so einfach und unbeschwert war, wie es sich heute darstellt. Auch die Bomben von Sendero Luminoso gab es, die Überfälle auf der Panamericana, die fürchterliche Armut in den pueblos jóvenes. Trotzdem, nirgends habe ich so fröhliche Menschen getroffen wie in Peru, die mit so viel Dankbarkeit und Optimismus ihr Dasein verbringen.
Die Rückkehr nach Deutschland war für meine ganze Familie ein Eintauchen in eine andere Welt. Wir kehrten zurück in ein Land, das es so vor unserer Ausreise noch gar nicht gab. Deutschland war wiedervereinigt, mit allen Problemen und Sorgen, die uns auch heute noch beschäftigen.
Unser Sohn Simon musste noch einmal für ein halbes Jahr in die Grundschule gehen. Als ich ihn nach ein paar Tagen fragte, wie ihm denn seine neue Klasse gefiele, antwortete er etwas traurig: „Papa, in der Klasse sind 19 deutsche Kinder, ein Türke und ich.“ Abends zog er sich meistens mit seiner Schwester Nina schon früh ins Kinderzimmer zurück. Dort hörten die beiden stundenlang ihre Kassetten mit Huaynos und andern Liedern aus Peru.
Meine Frau Gitti ist auch heute noch verbunden mit der Humboldtschule. Mehrmals in den vergangenen Jahren war sie zu Fortbildungsveranstaltungen in Lima und hat ihre ehemaligen Kindergartenmitarbeiterinnen weitergebildet. Jetzt leitet sie die Integrationsmaßnahmen unseres Landkreises Bergstraße in Heppenheim.
Mein beruflicher Weg führte mich an mehrere Schulen, für ein paar Jahre auch in die Schulaufsicht und 1998 an das Alte Kurfürstliche Gymnasium in Bensheim, das ich heute leite. Um den Kontakt zum Auslandschuldienst nicht zu verlieren, habe ich mich schon 1993 in den Vorstand des Verbandes Deutscher Lehrer im Ausland wählen lassen. Seit einigen Jahren bin ich Vorsitzender dieses Lehrerverbandes, der sich für die Interessen der Auslandsschulen und der dort arbeitenden Lehrkräfte einsetzt.
Möge euer Jubiläum ein großes Fest werden. In Gedanken bin ich bei euch und feiere gerne mit. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege einmal wieder. Ich würde mich darüber genauso freuen, wie über jede Mail oder jede Postkarte.
Herzlichst
Euer Karlheinz Wecht
E-Mail: wecht@vdlia.de
Internet: www.vdlia.de